Ich habe seit Bestehen dieses Blogs darauf verzichtet, hier über nicht Marketing-relevante Themen zu schreiben, geschweige denn einen offenen Brief zu veröffentlichen. Heute kann ich aber gar nicht anders…
„Vertragsloser Zustand“
So nennt sich, was derzeit durch Medien, Blogs, Facebook und Twitter wandert. Das ganze ist ein Spiel. Ein Machtspiel auf dem Rücken von durch gesetzliche Regelungen geknebelten Versicherten. Die Akteure:
Die SVA (Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft), Ärztekammer und 400.000 Spielbälle. Diese Spielbälle sind Unternehmer bzw. Selbständige, die durch eine gesetzliche Regelung zu einer Zwangsmitgliedschaft bei der SVA verdonnert sind. Heute zumindest. Vielleicht nach diesem „Probeprojekt“ von Ärztekammer und SVA jede/r Versicherte?! Wer weiß das schon…
Worum es im Spiel zwischen WKO- und SVA- Beamten und den Vertretern der Götter in Weiß geht
Die Ärztekammer verrechnet heute für jeden Arztbesuch eines bei der SVA Versicherten mindestens 50% höhere Honorare als beispielsweise für Arztbesuche von Versicherten bei diversen Gebietskrankenkassen. Ein nettes Geschäft für den einen oder anderen Arzt. Das hat (so sagt man) historische Bedeutung die mehrere Jahrzehnte zurück reicht. Was genau bei Selbständigen 50% mehr kosten soll ist ohnehin ein anderes ungeklärtes Rätsel – oder wollen wir es gar Ungleichbehandlung nennen? Bei den letzten Verhandlungen kamen SVA und Ärzteschaft zu folgendem Verhandlungsendstand:
Die Tarife wären demnach im Durchschnitt um ein Prozent gestiegen, für alle medizinischen Leistungen sogar um vier Prozent. Dafür hätte man bei den technischen Leistungen eine Kürzung von 22Prozent vorgenommen. Der SVA-Vorstand wollte allerdings zusätzlich einen Finanzpfad festlegen, wonach die Tarife der SVA sukzessive an jene der GKK angeglichen werden.
Das brachte die Ärzte derart auf die Palme, dass sie den laufenden Vertrag kündigten. (Quelle: Die Presse)
„Vertragsloser Zustand“ – Die Konsequenzen
Gehe ich heute zum Arzt, so muss ich die Arztrechnung vor Ort bezahlen, die Abrechnung bei der SVA einreichen und werde Monate später ca. 60-80% des Arzthonorars zurückerstattet bekommen. Andere sagen es wird noch weniger sein, denn die Ärztekammer hat Ärzten empfohlen die Honorare um 20% anzuheben.
Die SVA appeliert nun an alle Ärzte, weiterhin über die E-Card abzurechnen. Einige Ärzte machen das. Andere trauen sich nicht. So wie das z.B. Stefan H. Mey in seinem „Offenen Brief an die Ärzteschaft“ beschreibt:
Ich habe soeben mit meiner Hausärztin telefoniert, zu der ich seit über zehn Jahren ein sehr gutes, fast schon persönliches Verhältnis habe. Sie sagte mir, dass sie von Euch mit Drohbriefen bombardiert wird, dass rechtliche Schritte drohen, falls sie individuell mit der SVA abrechnen sollte. Wie viel Freiheit genießen Eure Mitglieder eigentlich wirklich? Ist das noch Demokratie?
Wer Stefans Worten nicht glaubt, der überfliege hier ein offizielles, m.E. skandalöses Schreiben der Wiener Ärztekammer an ihre Mitglieder. Auszug:
Weisen Sie Ihre Mitarbeiterinnen an, keine E-Card, auch nicht zur Überpfüfung des Versicherungsstatus, zu stecken, da jedes Stecken vom Hauptverband registriert und gegen die Ärzteschaft verwendet wird.
(Danke, an Max Kossatz & Michael Horak via Twitter)
In einem Live-Chat auf derStandard.at begründet der Vizepräsident der Wiener Ärztekammer, Johannes Steinhart (der Name scheint Programm zu sein), die Drohungen gegen anders|handelnde Ärzte so:
Warum soll es rechtswidrig sein, wenn ein Arzt mit der SVA einen Einzelvertrag abschließt? An sich funktioniert so unsere gesamte Wirtschaft. Und die Drohungen der Ärztekammer (Disziplinarverfahren, Klage wegen unlauteren Wettbewerbes) ihren eigenen Mitgliedern gegenüber finde ich skandalös.
Antwort Johannes Steinhart
Es geht hier darum geschlossen gegen die Zerstörung des österreichischen Gesundheitssystems aufzutreten und uns dabei jene 95% zu schützen, die diesen Weg im Sinne der Patienten mitgehen.
Hintergrund zu meinem offenen Brief: Der Fisch beginnt beim Kopf zu stinken!
Mir geht es hier persönlich nicht primär um meine persönlichen Arzt-Honorare, sondern vielmehr um ein in sich total krankes System das bei weitem größere Kreise als gegenstänlichen SVA Skandal mit sich zieht. Bleiben wir aber vorerst bei diesem Thema.
Da der Fisch bekannterweise beim Kopf zu stinken anfängt, ergeht mein Offener Brief nicht an Exekutionsbeamte ohne jeglichen Einfluss, sondern an meine obersten „Vertreter“ bei SVA und Wirtschaftskammer (die übrigens lt. Report (ORF, 1.6.2010) nicht bei der SVA versichert und darüber „recht glücklich“ sind).
Offener Brief an Christoph Leitl, Wirschaftskammer- & SVA Chef, Mag. Stefan Vlasich, MMag. Dr. Martin Rieder, Chef SVA Tirol
Sehr geehrter Herr Dr. Leitl,
Sehr geehrter Mag. Vlasich,
Sehr geehrter Herr MMag. Dr. Martin Rieder!
Ich bin (Zwangs-)Mitglied bei der SVA und der WKO – eine Wahlmöglichkeit habe ich bekannterweise bei keiner der beiden Institutionen und bezahle seit Jahren meine Pflichtbeiträge.
Änderung der Vertragsbedingungen ist Vertragsbruch!
Ich bin kein Anwalt. Dass eine Änderung von Vertragsbedingungen einem Vertragspartner allerdings mitgeteilt werden muss, und dass laut Rechtssprechung bei gravierenden Änderungen der Vertragsbedingungen Stillschweigen nicht als Zustimmung gilt, ist selbst mir bekannt. Somit haben Sie unseren „Vertrag“ eindeutig gebrochen.
In einem Interview mit „Die Presse“ fordern Sie mich als Mitglied der WKO und SVA zu Verhandlungen mit Ärzten auf:
Ich sehe das nicht so dramatisch. Es gibt auch sonst Versicherte, die sich selbst um den Arzt ihrer Wahl und die Höhe der Tarife kümmern. […] Der Patient ist Kunde, der Arzt Lieferant. Und mit Kunden-Lieferanten-Beziehungen verstehen meine Selbständigen umzugehen. (Zitat Interview Die Presse, 31.5.2010)
Diesem Aufruf komme ich gerne nach, jedoch nicht um mit meinem Arzt, sondern mit Ihnen über nachstehende Inhalte mit sofortiger Wirksamkeit zu verhandeln!
Verhandlungspunkt 1: Reduzierung der Pflichtbeiträge
Ich bezahle jährlich viele 1.000 Euro (bei in meinem Fall weniger als 100 Euro Gegenleistung jährlich), basierend auf Umsätzen der Vorjahre im Voraus.
Da Sie Ihren bei unserem „Vertragsabschluss“ vereinbarten Leistungen seit heute nicht mehr nachkommen, fordere ich Sie hiermit zu einer Kürzung meiner Pflichtbeiträge auf, und zwar um jenen Teil, den ich künftig bei Arztbesuchen selbst zu übernehmen habe. (Gilt auch hier Ihr Stillschweigen als Zustimmung?)
Verhandlungspunkt 2: Änderung der Zahlungsfristen
Sie übernehmen keine Bezahlung der Honorare meines Arztes mehr, sondern rechnen diese Wochen nach Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen mit mir ab. Deshalb ersuche ich Sie um Abänderung des Vertragspunktes betreffend Fälligkeit meiner Zahlungen von derzeit Vorauszahlung auf Zahlung am Ende eines Quartals oder alternativ um eine drastische Ausweitung der Zahlungsfristen angepasst an die langen Bearbeitungszeiten der SVA.
Verhandlungspunkt 3: Freie Versicherungswahl für freie UnternehmerInnen!
Des weiteren ersuche ich Sie, sehr geehrter Herr Dr. Leitl, als bislang schlecht beratenes und betreutes Mitglied der Wirtschaftskammer (Nachreichen von Beispielen mit deutlichen finanziellen Einbußen auf Wunsch sehr gerne), für eine sofortige Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft bei der SVA einzutreten. Es gibt wesentlich nachhaltigere und effektivere Versicherungsmöglichkeiten bei privaten Anbietern, und das wissen Sie!
Zeigen Sie und VertreterInnen Ihrer Institutionen endlich Rückgrat und vertreten Sie Ihre Kunden mit deren und Ihren wahren Interessen basierend auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Auch wenn das politisch u.U. unpopulär und Ihrer Karriere nicht förderlich ist.
Bitte verweisen Sie mich nicht, so wie Sie das bei Schreiben anderer Mitglieder bereits getan haben (Kopien liegen mir vor), an die Ärztekammer und eine Diskussion mit deren Vertretern. Die Ärztekammer steht mit mir in keinster Weise in einer Vertragsbeziehung – die SVA sehr wohl.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass dieses Schreiben in meinem kleinen bescheidenen Blog (www.andersdenken.at, täglich zwischen 2.000 und 5.000 LeserInnen) veröffentlicht und entsprechend im Internet verlinkt werden wird. Aus Gründen der Fairness werde ich auch Ihre geschätzte Antwort, die ich mir (angelehnt an die Terminrichtlinien der SVA mit sofortigem Eintritt von Exekutionsfolgen bei Nichteinhaltung!) bis längstens 14. Juni 2010 vorgemerkt habe, sehr gerne dort veröffentlichen.
Mit unverständnisvollen Grüßen
Hannes Treichl, Beitragszahler und somit für Ihre Gehälter mitverantwortlich
Versandt per Mail am 1. Juni 2010, 22:14 an Christoph.Leitl@wko.at, Direktion.W@svagw.at, Martin.Rieder@svagw.at mit Ersuchen um persönliche Weiterleitung
Nachtrag 2.6.: Peter schlägt in einem Kommentar unten vor:
„Ich könnte mir vorstellen, dass der Brief eine noch deutlich größere Wirkung erzielen würde, wenn ihn mehr “Zwangs”-Mitglieder verschicken würden.“
Genug von Beamten die reden ohne etwas zu sagen
Was wäre wenn…
… die da endlich einmal die Wahrheit sagen dürften?!
Dann gäbe es die selben Aha-Effekte wie bei diesem Lobbyisten der Pharma-Industrie in einem Interview des ZDF (absolut sehenswert!).