Ich bin zu alt, um mir meinen Jugendtraum zu erfüllen. – Das erzählst du mir mit 44 Jahren.
Andere sagen: Ich bin zu alt, um neu durchzustarten. Ich bin zu alt, um jetzt noch mit Sport anzufangen. Ich bin zu alt für das Erlernen einer neuen Sprache. Ausrede über Ausrede.
Im Alter von 68 entdeckt Ginette Bedard ihre Liebe zum Laufen. Ein Jahr später läuft sie ihren ersten Marathon. Mit 72 pulverisiert sie den Weltrekord in ihrer Altersklasse. Bis heute lässt sie keinen New York Marathon aus und läuft ihn Jahr für Jahr wieder.
Mit über 60 Jahren gibt Richard Meier einen gesicherten Job als Professor für Architektur auf, und entscheidet sich für die Umsetzung seiner Geschäftsidee: Aus Seegrasbällen einen natürlich Dämmstoff zu machen, ohne Chemie. Heute verkauft er jährlich knapp 2000 Kubikmeter und meint, es werden 50mal mehr werden.
Mit 52 Jahren gründet Heike Arnecke ihr Unternehmen Seniorita, eine würdige Tagespflege für ältere Menschen. Sie beschäftigt mittlerweile mehrere Mitarbeiter.
Irma Heyne-Beuse ist gelernte Reisebürokauffrau. Aus eigener Betroffenheit gründet sie mit 71 Jahren ein Unternehmen und organisiert Reisen für Alleinstehende, die ihre Partner verloren haben – mit einem Trauerberater als Reisebegleiter.
Schon als kleines Mädchen träumt Giuseppina Ehmann von einem eigenen Schokoladengeschäft. Aber erst Jahrzehnte später, im stolzen Alter von 65 Jahren erfüllt sie sich diesen Traum und eröffnet in Heidelberg (gegen alle Widerstände) eine Chocolaterie in der sie mit Mitte 70 noch immer täglich ihre Kunden verwöhnt.
John Houseman ist 71 Jahre jung, als er seine Schauspielkarriere beginnt. Ein Jahr später wird er mit dem Golden Globe und einem Oscar ausgezeichnet.
Mit 89 Jahren verkauft Carmen Herrera ihr erstes Gemälde. Heute gehören ihre Arbeiten zu den Permanent Collections im Museum of Art und dem Tate Modern.
Und dann gibt es jene Menschen, Jahrzehnte jünger, die felsenfest überzeugt sagen: „Ich bin zu alt dafür.“
„Ich bin zu alt dafür“ ist eine jener Geschichten, die wir glauben, weil wir sie uns schon viel zu lange selbst erzählen. Eine Ausrede, um nicht sagen zu müssen: „Ich habe Angst.“ Oder: „Ich bin zu bequem.“
Wir können mit 40 Jahren weiter von einem Leben träumen, das wir niemals leben werden. Uns auf die nächste Beförderung freuen. Auf 25 lustlose Jahre bis zum Kassieren einer fetten Abfertigung.
Darauf, dass uns jemand in den Ruhestand schickt, so wie wir das im Zeitalter der Fabriken mit ausgedienten Maschinen getan haben. Und bis zu jenem Tag sehnen wir Jahr für Jahr unsere kurzen Wartungspausen herbei, die wir Urlaube nennen. Und dann?
Wir haben das große Glück, erstmals in einer Zeit zu leben, in der wir unser Leben nicht mehr auf vorbestimmte Karrieren reduzieren müssen.
In einer Zeit, in der unsere Lebensspanne uns mehrere Leben ermöglicht.
Leben, die wir besser heute anfangen zu leben.
PS // Lieber Theo, es tut mir leid, wenn ich dir heute sage, dass du tatsächlich schon zu alt bist. Zu alt, um nicht selbst die Verantwortung für jenes Abenteuer zu übernehmen, das manche Menschen Leben nennen.